Die Freihandelslüge by Thilo Bode

Die Freihandelslüge by Thilo Bode

Autor:Thilo Bode [Bode, Thilo]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2015-02-11T23:00:00+00:00


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Ausgehöhlt:

Der Schutz vor Giften

Im Sommer 2014 veröffentlichte die amerikanische Umweltbehörde EPA eine ungewöhnliche Pressemitteilung. Sie teilte darin mit, dass sie eine abschließende Risikobewertung für das Lösungsmittel Trichlorethylen vorgenommen habe, ein in Handwerksbetrieben und Textilreinigungen gebräuchliches Entfettungs- und Fleckenmittel, das auch in handelsüblichen Reinigungssprays enthalten ist. Die Berufsgenossenschaft der deutschen Bauwirtschaft beschreibt Trichlorethylen seit spätestens 1995 als eine Substanz, die Schwindel, Kopfschmerzen, Bewusstlosigkeit und andere Hirnfunktionsstörungen auslösen, Leber und Niere irreversibel schädigen kann. Sie stehe außerdem im »begründeten Verdacht«, krebserzeugend zu sein. Fast zwanzig Jahre später kommt die amerikanische Umweltbehörde nun in ihrer Risikobewertung ebenfalls zu der Einschätzung, dass Trichlorethylen ein Gesundheitsrisiko für Arbeitnehmer und Verbraucher sei. Gleichwohl gilt diese Risikobewertung als »Meilenstein«: Weil sie die erste Risikoanalyse der EPA seit sage und schreibe 28 Jahren ist. Zuletzt hatte die Behörde eine solche Analyse 1986 für Asbest vorgenommen. Die damalige Absicht, der Analyse auch Einschränkungen bei der Verwendung des krebserregenden Stoffs folgen zu lassen, durchkreuzte zu großen Teilen ein amerikanisches Bundesberufungsgericht mit der Begründung, die Risiken von Asbest seien nicht »unzumutbar«. Das Material ist in den USA deshalb bis heute in zementhaltigen Baustoffen enthalten, in Kleidern, Rohrummantelungen, Dachpappen, Dichtungen und vielen anderen Produkten. Nach diesem verheerenden Urteil verstrichen eben jene 28 Jahre, bis die Umweltbehörde einen neuen Anlauf beim Trichlorethylen wagte. In einem offiziellen Blog der Umweltbehörde schreibt ein hochrangiger Mitarbeiter in fast flehentlichem Ton: Trichlorethylen sei ein guter Anfang für weitere Risikostudien über andere gefährliche Stoffe, doch ohne Änderungen am Chemikaliengesetz (Toxic Substances Control Act, TSCA) werde es für die Behörde schwierig, »der amerikanischen Öffentlichkeit zu garantieren, dass die Chemikalien in handelsüblichen Produkten auch sicher sind. Das Gesetz muss dringend modernisiert werden«, fordert der EPA-Mitarbeiter.

Eines der wichtigsten Verhandlungsfelder von TTIP, bei dem die Befürworter Raum für eine »Harmonisierung« europäischer und US-amerikanischer Regeln sehen, ist der Umgang mit Chemikalien. In Wahrheit sind die Regulierungsansätze auf diesem Gebiet derart gegensätzlich, dass eine Angleichung überhaupt nur zum Preis geschredderter Standards denkbar ist. Denn das amerikanische Chemikaliengesetz TSCA ist ein Werk aus der gesetzgeberischen Mottenkiste. Anders als andere Umweltgesetze in den USA ist es seit seiner Verabschiedung 1976 nicht mehr nennenswert angepasst worden. Das Gesetz verkörpert beispielhaft den amerikanischen Nachsorgeansatz: Nicht der Hersteller einer Chemikalie muss den Nachweis erbringen, dass der Stoff unbedenklich ist, sondern die Umweltbehörde muss, wenn sie Auflagen oder Verbote aussprechen will, zweifelsfrei beweisen, dass die Substanz ein »untragbares Risiko« darstellt. Außerdem muss sie vorrechnen, dass die Vorteile der vorgeschlagenen Regulierung – ausgedrückt in Dollar – höher sind als die Kosten, die der Industrie durch die neue Regulierung entstehen. Für die Behörde sei es unter diesen Umständen »nahezu unmöglich, die Schädlichkeit von Chemikalien nachzuweisen, um sie zu kontrollieren oder zu ersetzen«, heißt es in einer Studie der amerikanischen Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund (EDF). Die Konsequenz ist, dass die Unternehmen mehr oder weniger freie Hand haben, Industriechemikalien herzustellen und zu verkaufen. Etwa 62000 Chemikalien waren auf dem Markt, als das Gesetz 1976 in Kraft trat, rund 700 neue Stoffe kommen Jahr für Jahr in den Handel, so dass auf der TSCA-Liste heute etwa 85000 Industriechemikalien verzeichnet sind.



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